Tunesien 1994/95 - Zum Jahreswechsel zieht es das Frabo-Team auf Stollenreifen in die Wüste

Kurz vor Weihnachten packen David (Vidse), Andreas (Schwalli) und ich unsere Klamotten, satteln unsere stollenbereiften Enduros (DR 650 R, Yamaha XT 600 Z Ténéré und Yamaha XTZ 750 Superténéré) und machen uns auf den Weg nach Genua. Schon auf dem Weg durch Italien erleiden wir schier den Tod durch Erfrieren. Die Nacht im Zelt auf irgend einem Acker ist eiskalt. Zudem entpuppt sich der vermeintlich schützende Wall als Bahntrasse, auf der im nächtlichen Stundenrhythmus Güterzüge wenige Meter an unserem Igluzelt vorbeidonnern. An Schlaf ist kaum zu denken. Am Hafen von Genua treffen wir auf zahlreiche andere Zwei- und Vierrädrige Reisende, deren Ziel nordafrikanische Ländereien sind. Wir kommen mit manchen ins Gespräch und lernen Bernd kennen, der alleine auf seiner dick bepackten BMW R 100 GS wie wir nach Tunesien fahren will. Wir tun uns zusammen. Die erste Nacht verbringen wir wieder auf dem Campingplatz im Stadtzentrum von Hamamet, den ich von meiner ersten Reise nach Tunesien noch kannte. Auf der Weiterfahrt gen Süden zwingt uns ein herannahendes Unwetter, die Gummihäute überzustülpen. Das soll Nordafrika sein? Das Tor zur Sahara? Wir hatten uns das anders vorgestellt. Kurz darauf stürzt Bernd beim Beschleunigen am Ende eines Dorfes. Seine GS schlingert wie ein Lämmerschwanz, er kann die Fuhre nicht mehr fangen und legt sich lang. Zum Glück trägt er nur ein paar blaue Flecken davon, seine Kuh sieht dagegen demolierter aus: Die rechte Alu-Box ist aufgerissen, der Ausgleichsbehälter des Handbremszylinders geborsten. Im nahen Dorf kümmern sich Einheimische sofort voller rührender Hilfsbereitschaft um uns und um Bernds BMW. An eine Weiterfahrt ist heute nicht mehr zu denken. Irgend jemand bringt uns zu einer nahen Garage, wo wir unser Nachtlager aufschlagen können. Am nächsten Tag sieht die Welt wieder freundlicher aus. Die Straßen sind trocken, die Bremse von Bernds BMW hat wieder Druck und die Alu-Box ist geflickt. Wir peilen Matmata an. Uns locken die traditionellen in den rötlichen Lehm des Dahar-Gebirges gegrabenen Höhlenwohnungen, die schon im ersten Teil des Filmklassikers Krieg der Sterne als Kulisse dienten. Übrigens lieh das einige Kilometer von Matmata entfernte Berber-Städtchen Tatouine dem gleichnamigen Wüstenplanet im Film seinen Namen. Die Nacht verbringen wir im Höhlenhotel, eine tolle Kulisse. Von Matmata aus fahren wir über Pisten nach Douz. Zu Beginn holpern wir über steinige Gebirgspisten, die in der Ebene immer sandiger werden und uns unbedarften Wüsten-Neulingen manchen Liter Schweiß kosten. Vor allem Bernd müht sich mit seiner schwer beladenen BMW ab und wir leisten öfter Schiebehilfe. Bereits im Geiste male ich mir unsere Ankunft auf dem Campingplatz von Douz aus und schüre die Vorfreude auf eine erfrischende Dusche. Nach einigen Tagen Erholung trennen wir uns von Bernd und Vid und ich beschließen zu zweit in die Oase Ksar Ghilane zu fahren, nicht über die Pipelinepiste, sondern nach Marschzahl, die wir mit Karte und Kompass ermittelt haben. Nur mit dem Nötigsten beladen wollen wir schauen, ob und wie wir die Wüstenetappe schaffen. Es sind rund 120 Kilometer, vielleicht auch etwas mehr oder weniger. Wir starten morgens um 9.00 Uhr bei angenehmen Temperaturen und erreichen gerade rechtzeitig die Ruine von Ksar Ghilane, bevor die untergehende Sonne gänzlich hinter dem Horizont verschwunden ist. Eine unglaublich stille Nacht in der Ruine liegt vor uns. Kein Wind geht, kein Tier ist zu hören und die Oase ist außerhalb unserer Höhrweite. Ein eindrucksvolles Erlebnis. Als wir nach Douz zurückkommen, beschließen wir, zu dritt erneut nach Ksar Ghilane zu fahren - diesmal auf der Piste - und dort Silvester zu verbringen. Viele andere Enduristen und 4x4-Fahrer haben die selbe Idee. Zum Jahresende gibt es Nudeln mit Tomatensoße, so der Plan. Allerdings habe ich beim Einkaufen mangels Sprachkenntnisse anstatt einer großen Dose Tomaten eine große Dose Tomatenmark erwischt - wir müssen mal wieder improvisieren. Auf dem Rückweg stürzt Schwalli und hinterlässt einen eindrucksvollen Krater auf der Piste, wo seine Superténéré einschlägt. Es dauert einige Zeit, bis wir seine Maschine wieder so hingebogen haben, dass er ohne ungewöhnliche Schleifgeräusche weiterfahren kann. Der Weg nach Norden führt uns an einigen Sehenswürdigkeiten vorbei: Über das Chott el Gharsa geht es zunächst nach Tamerza und dem dortigen Wasserfall. Auch den Table de Joghurta an der algerischen Grenze besuchen wir. Schwierig gestaltet sich die Suche nach einem Nachtlager im Landesinneren, dort, wo es keine Campingplätze gibt. Die Landschaft besteht überwiegend aus Feldern und Äckern. Jeden Weg, den wir von der Straße einschlagen, führt zu irgend einem entfernten Gehöft. Schließlich laden wir am Rande eines Feldes unter einem großen Olivenbaum unser Gepäck ab. Doch wir kommen nicht zum Zelt aufbauen. Ein Auto hält und der tunesische Fahrer bedeutet uns mitzukommen. Wir folgen seiner Einladung und dürfen auf seinem Hof übernachten. Wieder einmal erlebe ich diese unglaubliche Gastfreundschaft. Das kleine Gebäude besteht im Grunde aus der Küche und zwei Räumen. Wobei ein Raum noch im Rohbau steht und weder Fenster noch Türen hat. Hierher schleppt der Hausherr das Doppelbett und die Matratzen. Wenig später kommen Nachbarn, es gibt eine einfache scharfe Suppe mit Brot und wir versuchen alle Fragen zu beantworten. Es ist ein lustiger Abend und am anderen Morgen verabschieden wir uns und fahren weiter gen Tunis, wo uns die Habib wieder nach Genua bringt.

Text & Fotos: Thomas Stutz
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